An der Freien Universität gibt es viele unterschiedliche Berufsgruppen – mit eigenen Charakteristika und Problemen. Den meisten gemeinsam aber sind Personalmangel und/oder Probleme mit der Eingruppierung im Tarifgefüge. Wir wollen einige Berufsgruppen und ihre Arbeit näher beleuchten, hier ein Interview mit Katrin, ehemaliger Tierärztin des Fachbereichs Veterinärmedizin an der Freien Universität. Ihr Name wurde auf ihren Wunsch geändert.
Du hast lange Zeit als Tierärztin an der FU gearbeitet. Wie kann man sich die Arbeit vorstellen? Was mochtest Du besonders an Deinem Beruf im Fachbereich VetMed?
Prinzipiell mochte ich es, dass die Arbeit sehr abwechslungsreich und das Betätigungsfeld sehr breit / war. Es machte mir Spaß, den Studierenden das tierärztliche Arbeiten beizubringen und sie auf ihrem Weg zum Examen zu begleiten und zu sehen wie sie Fortschritte machen und immer besser werden. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Tierhalter*innen einem sehr dankbar sind, dass man sich ihrer Sorgen und Probleme annimmt, wenn man deren Tiere, unsere Patienten, gründlich untersucht und versorgt.
Wie wurdet Ihr entlohnt?
Wir waren in die Entgeltgruppe 13 eingruppiert, obwohl uns TV-L 14 zustünde. Aus Projekten mit wissenschaftlichen Beschäftigten anderer Fakultäten, weiß ich, dass das ein FU-Problem zu sein scheint. So bekommen Beschäftigte an anderen veterinärmedizinischen Fakultäten TV-L 14 für die gleiche Arbeit, während die FU bis heute nur E13 zahlt.
Mit welcher Begründung?
Die Begründung lautete, dass wir angestellt waren, um wissenschaftlich zu arbeiten und quasi nicht tierärztlich tätig waren. Das entsprach aber tatsächlich gar nicht meinem Arbeitsalltag. Ich arbeitete beinahe ausschließlich tierärztlich. Wissenschaft musste ich meist in meiner „Freizeit“ betreiben, da die Arbeitszeit dafür nicht ausreichte. Und warum sollte ich dann gleichzeitig Notdienst bzw. Rufbereitschaft ableisten, wenn ich ja gar nicht tierärztlich tätig war? Es erschließt sich mir bis heute nicht und ich empfinde das bis jetzt als Zeichen mangelnder Wertschätzung.
Wie waren Deine Arbeitszeiten?
Wir arbeiteten nach Dienstplan, wonach unsere Kernarbeitszeit 8 Stunden betrug. Den Hauptteil meiner Arbeit schaffte ich in dieser Zeit, jedoch fiel im Anschluss noch viel Büroarbeit an, die dann in dringenden Fällen oft noch nach dieser Kernarbeitszeit abgearbeitet werden musste. Dafür blieb man dann schon mal eine Stunde länger, was gerne hingenommen wurde, aber offiziell nicht stattgefunden haben sollte.
Was meinst du damit?
Wir konnten diese Zeit als Überstunden aufschreiben und abfeiern. Vergütet wurde diese Zeit nicht. Das mit dem Abfeiern war dann schwierig, weil so wenig Personal vorhanden war, dass das im Prinzip gar nicht möglich war. Es entstanden dann mit Wochenenddienst schon mal 12 Tage Arbeit am Stück ohne Freizeitausgleich. Nicht selten zweifelten die Vorgesetzten die Notwendigkeit der Überstunden im Nachgang auch noch an. Sie beklagten aber gleichzeitig auch, wenn Dinge liegen geblieben sind.
Hast du für diese Überstunden die tariflichen Zuschläge erhalten?
Nicht ganz, denn die Zeitzuschläge wurden nicht mit den Überstundenzuschlägen addiert, obwohl das der Tarifvertrag zwingend so vorsieht. An einem Sonntag war es dann so, dass wir nur 25 Prozent Zuschlag erhalten haben, obwohl der Zuschlag inklusive des Überstundenzuschlags von 15 Prozent insgesamt 40 Prozent hätte betragen müssen. Über die Jahre sind da hohe Rückstände entstanden.
Wie wurde die Patientenaufnahme am Wochenende organisiert?
Da wurde nicht viel organisiert. Das Patientenaufkommen schlug direkt zu uns durch. Die Tierhalter*innen riefen auf dem Diensthandy an. Ab diesem Zeitpunkt trug man alleine die volle Verantwortung für die meist nervösen Tierhalter*innen und das kranke Tier, egal wie lange man schon im Dienst war oder ob man die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten, sprich geschlafen hatte oder nicht. Du kannst solche Notfälle nicht einfach nicht behandeln, man muss abarbeiten, was reinkommt. In der Regel hielt ich mich während der Rufbereitschaft zuhause auf. Häufig war es allerdings so, dass sich ein Notfall ankündigte, während man noch auf Arbeit war, um die stationären Patienten zu versorgen oder man gerade damit fertig geworden war . Dann lohnte es sich oft nicht mehr nach Hause zu fahren und man wartete lieber vor Ort, oft auch bis zu zwei Stunden.
Wie schnell musstet Ihr bei einem Einsatz vor Ort sein?
Offiziell gab es keine Aussage, wie schnell man an der Klinik sein sollte. Stillschweigend eingeschlichen hatte sich ein Zeitfenster von ca. 30 Minuten. Kontaktiert wurde man dann wie gesagt von den Tierbesitzer*innen direkt über ein Diensttelefon. Brauchte man 90 Minuten bis zum Einsatzort konnte es schon mal sein, dass Tierhalter*innen verärgert waren und das dann an die Vorgesetzten weitergegeben wurde. Das bedeutete Stress. Um schnell vor Ort zu sein, kam es deshalb auch vor (allerdings eher selten), dass man nach einem späten, nächtlichen Einsatz lieber gleich an der Klinik blieb, um Intensivpatienten zu kontrollieren. Man bekam so mehr Schlaf, als wenn man erst wieder nach Hause fuhr. Man sollte ja am nächsten Morgen wieder im Dienst sein. In anderen Klinikbereichen, habe ich gehört, war das mit dem Schlafen am Arbeitsplatz um die Arbeit bewältigen zu können sehr häufig!
Wie oft gab es diese Rufbereitschaftsdienste?
Unter der Woche schloss sich an einen Wochentag, gelegentlich auch an zwei Tagen, je nach Personaldichte an die reguläre Arbeitszeit noch eine Rufbereitschaft an. Außerdem gab es ca. alle vier Wochen einen Wochenenddienst. Es war so, dass man mindestens an einem der beiden Tage (Samstag oder Sonntag) oder auch nachts einen Einsatz hatte. Am Wochenende gab es aber wesentlich mehr Einsätze als unter der Woche. Es kam vor, dass ich am Samstag 14 Stunden und am Sonntag 13 Stunden gearbeitet habe und dann ohne einen freien Tag in die Arbeitswoche gestartet bin.
Konnten keine Kolleg*innen einspringen, um Dich zu entlasten?
Theoretisch ja, aber in der Praxis lief das so: Der Hintergrunddienst sollte zwar einspringen, wenn ein erhöhtes Patientenaufkommen dafür sorgte, dass sich Arbeitszeitverstöße anbahnten. Man hatte aber nur zwei Wochenenden im Monat richtig frei. Aufgrund des Personalmangels und der vielen Wochenendschichten wollte man die Kolleginnen und Kollegen, die dringend eine Ruhepause von den kräftezehrenden Schichten brauchten, nicht stören. Die Situation wurde dann noch schlimmer, wenn der Hintergrunddienst krank war oder Beschäftigte im Urlaub waren. Dann kam es zu vielen Arbeitszeitverstößen. Das ist wohl bis heute so und dem Personalmangel geschuldet. Der Arbeitgeber weiß das und nimmt das anscheinend billigend in Kauf. Er sieht ja die Arbeitszeiten und die Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz in den Abrechnungsbögen.
Was sagte der Personalrat dazu?
Viel lief denke ich inoffiziell, da der Umfang der Notdienste gar nicht aus den Dienstplänen ersichtlich wurde. Die Notdienste waren quasi wie ein Zweitjob, der separat abgerechnet wurde. Ich glaube, dass der Personalrat von dieser Extraabrechnung keine Kenntnis hatte.
Wurde die Ruhezeit von 11 Stunden eingehalten?
Mittlerweile soll es kein Problem mehr sein, einfach zu sagen, dass man nach einem nächtlichen Einsatz später kommt, um auszuschlafen. Um die Kolleg*innen nicht hängen zu lassen, kommt man aus schlechtem Gewissen aber dann doch meistens schon um 9:00 Uhr oder 10:00 Uhr, denn der Patientenandrang gibt den Takt vor. Manchmal kam es mir so vor, als wurde ein Bedürfnis nach Ruhe als Schwäche ausgelegt. Zudem hatte man ja in der Regel auch schon Termine für den nächsten Tag, die man gerne einhalten wollte. Angesichts der knappen Personaldecke konnten die Termine nicht einfach von einem*r anderen Beschäftigten abgedeckt werden. Das betraf z.T. auch die Lehre und z.B. Vorlesungen.
Weißt Du in etwa wie viele Stellen unbesetzt waren bzw. wie viel Personal notwendig gewesen wäre, um die Situation zu verbessern?
Das alles war sehr intransparent. Wir kannten keinen Stellenplan. Stellen waren auf einmal nicht mehr vorhanden oder es wurde umstrukturiert bzw. Stellen wurden anders zugeordnet. Dazu kam, dass wenn jemand eingestellt werden sollte, dieser Prozess Monate dauerte. Man konnte da nur hilflos beobachten und zusehen wie man die Arbeit schafft.
Wie hast Du es geschafft, die Arbeit mit der Familie in Einklang zu bringen?
Gerade an anstrengenden Wochenenden war ich schlimmstenfalls nur kurz zum Essen und Schlafen Zuhause oder einfach nur müde, weil man ja schon eine anstrengende Woche hinter sich hatte. Die Rufbereitschaft wirkte sich definitiv auch auf die Gestaltung der Freizeit aus. Man konnte eben nicht alle Aktivitäten ausführen, die man ohne Rufbereitschaft machen würde wie z.B. Sportkurse, Kino, Familie und Freunde besuchen, die weiter weg wohnen als eine halbe/dreiviertel Stunde, aus Angst sowieso gleich wieder angerufen zu werden. Das war für mich eigentlich das Belastendste an der Situation.
Etliche Tierärzte haben gekündigt und die FU verlassen. Wie bewertest Du diese Situation?
Ja, ich habe davon gehört und kann es für die betroffenen Kliniken nachvollziehen. Es ist schon lange ein offenes Geheimnis, dass dort auf solch ausbeuterische Weise gewirtschaftet wird. Daher war es mir wichtig, auf die Bedingungen der Kolleg*innen aufmerksam zu machen. Ich glaube, die Tierärzt*innen und wissenschaftlichen Beschäftigten wissen zum Teil zu wenig von den arbeitsrechtlichen Dingen und den Möglichkeiten, diese anzusprechen und durchzusetzen. Wir hatten – und das ist bis heute so – ja alle Zeitverträge. Direkt nach dem Abschluss haben wir dann mit unserer sog. „Wimi-Stelle“ begonnen.
Das klingt nach einem unschönen Abhängigkeitsverhältnis …
Im Umgang mit den Studierenden bekam ich sehr oft mit, dass frisch approbierte Tierärzt*innen sich unter Wert verkaufen, weil sie sich durch das Studium und schlechte Erfahrungen in Praktika nicht für die Arbeitswelt vorbereitet fühlten und das Gefühl hatten nicht genug zu können, um dafür auch adäquat bezahlt und behandelt zu werden. Das ist auch in der freien Wirtschaft der Fall. Es wird einem quasi vermittelt, dass ein solches Arbeitsverhalten für Tierärzt*innene normal ist und auch erwartet wird. Tierärzt*innen haben sicherlich auch irgendwie ein Helfersyndrom, dass das Ganze noch befeuert. V.a. die Praedocs stehen in starker Abhängigkeit zur jeweiligen Institutsleitung und trauen sich dann auch gar nicht zu „rebellieren“. Sie wollen ja noch einen Titel erlangen. Es wird einem eigentlich auch direkt vorgelebt, dass Dinge schon immer so laufen und dann hat das auch so fortzubestehen. Die Welt der befristeten Stellen ist so schnelllebig, man denkt sicherlich auch: „ich bin hier sowieso nur ein paar Jahre angestellt, wieso soll ich da was bewegen?“
Ihr macht als Tierärzt*innen wichtige Arbeit. Das hat auch eine Bedeutung in der öffentlichen Daseinsvorsorge! Sind da aus Deiner Sicht auch politische Entscheidungen notwendig?
Ja, generell sind die Arbeitsbedingungen für Tierärzt*innen absolut nicht nur ein FU-Problem, aber auf jeden Fall auch. Die Situation in der freien Wirtschaft ist in vielen Praxen ebenfalls schlimm. Uns Tierärzt*innen fehlt es glaube ich an Institutionen, die uns vertreten und uns unterstützen. Ich denke, eine Organisierung durch ver.di und die Betriebsgruppe könnte Dinge für die Kolleg*innen bei der FU verbessern. Bislang wüsste ich aber nicht, auf welcher Ebene die Problematik beginnt. Sollte es keine Einsicht bei den entsprechenden Stellen geben, wäre es wohl angebracht, es auf Ebene des Senats klären zu lassen.