An der Freien Universität gibt es viele unterschiedliche Berufsgruppen – mit eigenen Charakteristika und Problemen. Den meisten gemeinsam aber sind Personalmangel und/oder Probleme mit der Eingruppierung im Tarifgefüge. Wir wollen einige Berufsgruppen und ihre Arbeit näher beleuchten, hier ein Interview mit einer ehemaligen Beschäftigten der Campus-Bibliothek.
„Es werden noch mehr Leute kündigen“
Du bist ehemalige Mitarbeiterin der Campusbibliothek an der Freien Universität Berlin. Wie lange hast Du dort gearbeitet?
Ich habe ca. fünfeinhalb Jahre an der FU gearbeitet. Ich war zuerst als studentische Hilfskraft (SHK) und später durch einen Vergleich beim Arbeitsgericht als festangestellte Mitarbeiterin mit einer halben Stelle (Entgeltgruppe 3) beschäftigt. Die FU weigerte sich, meinen befristeten SHK-Vertrag in einen unbefristeten E3-Vertrag umzuwandeln, deshalb habe ich im Sommer 2020 mit Hilfe eines Anwalts den o.g. Vergleich erstritten.
Wie viel hast du verdient?
Als E3-Beschäftigte in 50% Teilzeit habe ich brutto 1.246,18 Euro (netto 951,37 Euro) verdient.
Welche Aufgaben hattest Du in der Campusbibliothek?
Zu meinen Hauptaufgaben gehörte der Dienst an der Leihtheke und die Überwachung bzw. die Durchsetzung der Bibliotheksordnung. Zu den qualifizierten Tätigkeiten gehörte die Unterstützung von Nutzer:innen bei z.B. Katalogrecherchen, Unterstützung bei der Benutzung der Kopierer/Drucker/Scanner und bei der Platzbuchung. Der technische Support wurde zwar bislang von einer externen Firma betreut, der Vertrag wurde aber gekündigt. Wenn Nutzer:innen also Fragen hatten, mussten wir E3-Kräfte auch den technischen Support übernehmen. Wir erstellten auch Konten für externe Nutzer:innen und wiesen neue Kolleg:innen ein. Zu den Sonderaufgaben gehörte dann auch die Mitarbeit beim Aufbau und der Durchführung des Digitalisierungsservices oder sogar die Mitarbeit bei Bewerbungsgesprächen. So wurde ich von der Benutzungsleitung mündlich gebeten, bei den Auswahlgesprächen für die neuen E3-Kolleg:innen mitzuwirken.
War die Eingruppierung in die E3 dafür überhaupt ausreichend? Entsprach dein Gehalt deinen Aufgaben?
Absolut nicht! Den E3-Beschäftigten wurde sehr viel abverlangt. Wir hatten viele Aufgaben zu erfüllen, die eigentlich in den Arbeitsbereich von qualifizierten Fachkräften wie z.B. Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste fallen. Wir mussten zahlreichen Tätigkeiten nachgehen, für die wir weder ausgebildet noch geschult waren.
Wart Ihr nicht nur unterstützend tätig? Das wäre für E3-Kräfte üblich!
Nein, in den Spät- und Wochenendschichten bespielten wir, die E3-Kräfte, die Bibliothek allein. Es gab keine Unterstützung von Fachangestellten, wir trugen dabei viel Verantwortung! Das heißt vom morgendlichen und abendlichen Schließdienst über das Bespielen der Leihtheke und der Information, bis hin zur Lesesaalaufsicht und Ordnungs- und Aufräumarbeiten. All diese Tätigkeiten mussten wir übrigens mit nur zwei bis drei E3-Kräften pro Schicht durchführen.
Nach welchem Arbeitszeitmodell wurde in der Bibliothek gearbeitet?
Angeblich Gleitzeit, aber tatsächlich arbeiteten wir nach einem festen Dienstplan. Jedenfalls gab es über zwei Jahre keinen funktionierenden Zeiterfassungsbogen für uns E3-Kräfte. Die Erklärungen zu den Arbeitszeiten und den damit verbundenen tariflichen Regelungen waren sehr unübersichtlich und wurden kaum kommuniziert. Überstunden wurden nicht als solche angewiesen, sondern galten als Mehrarbeit. Dadurch erhielten wir den tariflichen Überstundenzuschlag von 30 Prozent nicht.
Habt Ihr genaue Anweisungen oder Stellenbeschreibungen erhalten?
Es gab keine Stellenbeschreibungen für E3-Kräfte in unserer Bibliothek. Kolleg:innen und ich haben diese zwar angefordert, aber nie erhalten. Folglich blieben die Arbeitsaufgaben unkonkret. Wenn wir qualifizierte Arbeitszeugnisse beantragten, wurden diese ebenso trotz mehrfacher Aufforderung einfach nicht ausgestellt. Ich glaube, man wollte höherwertige Arbeiten auch nicht schriftlich anweisen. Wir wurden selten schriftlich, z.B. per E-Mail, über Arbeitsinhalte informiert. So erfuhren wir arbeitsrelevante Neuigkeiten mit etwas Glück über den „Flurfunk“. Da Informationen nicht schriftlich weitergeleitet wurden, kam es dann zu Fehlern an der Leihtheke. Erst in passivaggressiven Rund-E-Mails im Nachgang wurden solche Fehler dann thematisiert und die korrekte Lösung aufgezeigt. Leider ist in unserer Bibliothek bisher noch niemand darauf gekommen, dass eine Einarbeitung der E3-Kräfte und regelmäßige Briefings bzw. Schulungen das hohe Fehleraufkommen deutlich hätten reduzieren können. Stattdessen hat man diese Rund-Mails vorgezogen.
Ihr wurdet also nicht weitergebildet oder in Eure Arbeit eingewiesen?
Ich war dort lange E3-Beschäftigte und habe nie gesehen, dass eine Einarbeitung stattgefunden hätte oder Weiterbildungen für qualifizierte Arbeiten angeboten wurden. Wir brachten uns die Arbeitsaufgaben notgedrungen gegenseitig bei. Es gab nur veraltete Leitfäden für bestimmte Arbeitsaufgaben, auf die man sich aber teilweise stützen konnte. Somit waren wir, was Nutzerneuanmeldungen, das Erstellen von Nutzerkonten anging, auf uns alleine gestellt. Letztere werden an anderen Bibliotheken z.B. in der Philologischen Bibliothek ausschließlich von Bibliothekaren gemacht. Aber auch die Arbeiten an der Information bzw. die Auskunft im Spät- und Wochenenddienst während der Pandemie sowie die Einarbeitung von neuen E3-Kolleg:innen haben wir übernommen. Erschwerend kam hinzu: Wir wurden als E3-Kräfte grundsätzlich nicht zu Teamsitzungen eingeladen. Obwohl wir hauptsächlich an der Leihstelle arbeiteten, tagesaktuelle Fragen von Nutzer:innen beantworten mussten und direkt von den in den Sitzungen getroffenen Entscheidungen betroffen waren, wurden wir weder angehört noch direkt informiert. Der Umgang mit uns hinterließ bei uns den Eindruck mangelnder Wertschätzung.
Das dürfte sich auf die Stimmung am Arbeitsplatz niedergeschlagen haben…
Ja, die Stimmung war sehr schlecht und verschlechterte sich weiter zunehmend. Im Endeffekt hat das dazu geführt, dass ich gekündigt habe. Die hohe Arbeitsbelastung aufgrund der Unterbesetzung des Benutzungsteams, sowie die hohe psychische Belastung durch interne Querelen haben bereits mehrere Mitarbeiter:innen des Benutzungsteams an ihre physische und psychische Belastungsgrenze (und/oder darüber hinaus) gebracht. Das Betriebsklima nahm nach über einem Jahr extremster Belastung und Unterbesetzung toxische Züge an. Weitere Kündigungen sind sicher zu befürchten.
War ausreichend Personal vorhanden?
Ich kann leider auch hier nichts Gutes berichten. Das Benutzungsteam war total unterbesetzt. Die Leihtheke wurde viele Monaten fast ausschließlich von E3-Kräften bespielt. Der Dienstplan war so dünn besetzt, dass es z.B. bei einer Krankmeldung schon Schwierigkeiten gab, den Leihbetrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Auch in diesen Fällen wurden Rund-Mails verschickt, die andere E3-Kräfte zum Einspringen aufforderten, andernfalls „müsse die Bibliothek früher schließen“. Damit wurde Druck auf die E3-Kräfte ausgeübt, auch außerhalb der eigentlichen Dienstzeit bereitzustehen und es entstanden zahlreiche Überstunden, die nicht tarifkonform vergütet wurden. Trotz der Unterbesetzung wurden durch E3-Kräfte angefragte Stundenerhöhungen nicht, bzw. nur befristet genehmigt.
Die Bibliotheken werden zunehmend wieder am Wochenende geöffnet, wie kann das bei dem Personalmangel geleistet werden?
Eine Rückkehr zu den vorpandemischen Öffnungszeiten ist bei der Unterbesetzung nicht möglich. Dazu kommt: E3-Kräfte wurden ursprünglich insbesondere für Spät- und Wochenenddienste eingestellt. Alle studentischen E3-Kräfte haben sich wegen dieser Voraussetzung für diese Jobs beworben, da sich diese Dienste gut mit dem Studium vereinbaren lassen. Seit Beginn der Pandemie arbeiteten die E3-Kräfte dann ausschließlich in zwei Schichten von Mo-Fr, 08:00-20:00 Uhr. Das Problem für die Kolleg:innen ist bis heute, dass sich diese Arbeitszeiten wesentlich schlechter mit dem Studium vereinbaren lassen.
Wie sieht es mit der Arbeitssicherheit aus? Gibt es in der Campusbibliothek Unfallrisiken?
Es braucht unbedingt ein Sicherheitstraining für die Beschäftigten z.B. bei Evakuierung der Bibliothek im Brandfall und bei der Schulung von Ersthelfer:innen. So etwas hat bei uns nie stattgefunden. Da müsste dringend etwas unternommen werden.
Was könnten Deiner Ansicht nach, Personalräte und Gewerkschaften tun, um die Situation in der Campusbibliothek zu verbessern?
Personalrat und Gewerkschaften sollten sich dafür einsetzen, dass an der FU gesetzliche und tarifvertragliche Mindeststandards eingehalten werden. Andernfalls werden noch mehr Leute kündigen. Die Durchsetzung von tariflichen Zuschlägen gehört da sicher dazu. Insbesondere könnte hier eine gewerkschaftliche Bewegung helfen, die E3-Kräfte bei Vorgesetzen und Leitung als vollwertige Mitarbeiter:innen zu etablieren. Außerdem wäre es meiner Meinung nach von Vorteil, wenn personalverantwortliche Vorgesetze in Bereichen wie Personalführung und Zeit- und Betriebsmanagement geschult werden, um ihrer Verantwortung besser gerecht zu werden. Führungskompetenz kann erlernt werden.