Tarifvertragsverstöße müssen mit Streik beantwortet werden können!

Tarifvertragsverstöße müssen mit Streik beantwortet werden können!

Der folgende Offene Brief soll demnächst an die zuständigen Gremien der Gewerkschaften gehen, die den TV-L unterzeichnet haben.

Beschäftigte sind aufgefordert, den Offenen Brief mitzuzeichnen. Hier findet ihr die Druckversion, um Unterschriften in den euren Bereichen unter dem Aufruf zu sammeln. Dafür scannt uns bitte die unterschriebenen Unterschriftsbögen ein und sendet sie via Mail an vorstand@verdi-fu.de.
Eure Unterschriften und Namen werden nicht veröffentlicht!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit Monaten kämpfen Beschäftigte an der Freien Universität (FU) Berlin für die Nachvergütung tariflicher Zuschläge. Ihnen sind über Jahre Überstundenzuschläge, Rufbereitschaftszuschläge sowie Wechselschicht- und Schichtzulagen vorenthalten worden. Der wirtschaftliche Schaden liegt z.B. pro Beschäftigten im Fachbereich der Veterinärmedizin der FU je nach Beschäftigungsdauer im drei- bis fünfstelligen Bereich. Eingerechnet sind hier noch nicht reduzierte Rentenansprüche, weil eine Vielzahl an Ansprüchen durch die Ausschlussfrist verfallen sind!

Bei der Durchsetzung ihrer tariflichen Ansprüche sind Beschäftigte mit nachfolgenden Fragen konfrontiert:

  • Welche Handlungsmöglichkeiten haben sie neben dem Klageweg, wenn Tarifverträge zwar ausverhandelt, dann aber in ganzen Bereichen bewusst nicht umgesetzt werden?
  • Wie können sie ihre Rechte aus dem Tarifvertrag durchsetzen, insbesondere dann, wenn sie kein Geld für einen Rechtsanwalt oder Rechtsstreit haben?
  • Wie kommen befristete Beschäftigte an ihre tariflichen Rechte, wenn eine Konfrontation mit der Universitätsleitung dazu führt, dass Beschäftigungsverhältnisse nicht fortgesetzt werden?
  • Ist es Beschäftigten zumutbar, dass sie weiterhin Dienste antreten, wenn sie den dafür vorgesehenen tariflichen Lohn seit Monaten bzw. Jahren nicht erhalten?

Wir richten folgenden Aufruf an ver.di und an die anderen für den TV-L FU verantwortlichen Gewerkschaften:

  • Es muss ein eigener Tarifkampf zur Einhaltung des Tarifvertrags (TV-L FU) organisiert werden, der erst dann endet, wenn alle offenen Forderungen der Beschäftigten beglichen sind!
  • Die Einhaltung des Tarifvertrags (TV-L FU) muss zu einer offiziellen Streikforderung bei der anstehenden Tarifrunde im TV-L gemacht werden.
  • Die Zustände an der Freien Universität Berlin sind nur exemplarisch, deshalb müssen unsere DGB-Gewerkschaften überall dort, wo geltende Tarifverträge umgangen werden, die Voraussetzungen schaffen, dass Streiks zur Durchsetzung gültiger Tarifverträge möglich sind!
  • Der Sachverständigenausschuss der ILO wird gebeten sich mit Tarifvertragsverstößen an der Freien Universität Berlin auseinanderzusetzen.

Begründung

Bereits am 15.03.2023 hatten sich Beschäftigte der Veterinärmedizin in einem Offenen Brief an den Präsidenten der FU gewandt. Auch Beschäftigte der Technischen Abteilung wandten sich am 21.02.2023 aufgrund immer niedriger Eingruppierungen in einem Offenen Brief an den Präsidenten der FU. Der für die Beschäftigten zuständige Personalrat Dahlem machte in einer Veröffentlichung bereits am 29.07.2021 auf, Verstöße gegen den Tarifvertrag bei Zuschlägen aufmerksam und forderte das Präsidium auf den Tarifvertrag einzuhalten. Der Gesamtpersonalrat bezifferte die Forderungen der Beschäftigten allein im Fachbereich Veterinärmedizin auf ca. 1 Millionen Euro.

Tarifvertragsverstöße sind FU-weites Problem!

Eine Vielzahl an Beschwerden von Beschäftigten an der gesamten FU erstrecken sich neben Zuschlägen auf Verstöße gegen den Tarifvertrag der FU (TV-L, FU), etwa bei der Erstellung von Arbeitszeugnissen, der Auszahlung der Krankengeldzuschüsse, bei Eingruppierungen, Stufenfestsetzungen etc.

Rückmeldungen der ver.di-Vertrauensleute an der FU zur Folge mussten inzwischen mindestens 100 Beschäftigte an der FU tarifliche Bezüge schriftlich geltend machen, so dass diese nicht im Rahmen der tariflichen Ausschlussfrist verfallen. Viele sind oder stehen vor dem Klageweg. Die meisten Beschäftigten verzichten aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen, z.B. durch Befristungen oder in wissenschaftlichen Berufen, darauf, ihre tariflichen Ansprüche auch vor Gericht durchzusetzen. Sie kündigen und verlassen die FU. Im Fachbereich Veterinärmedizin und in der Technischen Abteilung z.B. haben Dutzende Beschäftige gekündigt, wöchentlich werden es mehr, mit gravierenden Folgen für den Universitätsbetrieb.

Aufgrund des Personalmangels droht der FU inzwischen z.B. die Aberkennung der Europäischen Zulassung für die veterinärmedizinische Ausbildung, weil für die Zulassung durch die Qualitätssicherungsorganisation EAEVE ein tierärztliches Lehrkrankenhaus mit einer 24/7-Notfallversorgung zwingende Voraussetzung ist. Für die mehr als 1.600 Studierenden der Veterinärmedizin an der FU könnte das heißen, dass ihr Abschluss nicht mehr anerkannt wird. Das zeigt: Die hohe Unzufriedenheit und finanzielle Schlechterstellung durch Tarifvertragsverstöße hat direkte Folgen für die Studienbedingungen, die Studierende an der FU vorfinden.

Streiks sind juristisch nicht nur möglich, sie sind notwendig!

Beschäftigte, deren Existenz und Lebensumstände, direkt von der Einhaltung des Tarifvertrags abhängig sind, brauchen ein durchsetzungsstarkes Mittel, wenn Tarifverträge bewusst missachtet werden. Während die herrschende Meinung in Deutschland und im Übrigen auch die der Gerichte zur Durchsetzung von Tarifansprüchen auf individualrechtliche Gerichtsverfahren verweisen und einen Streik für rechtswidrig halten, hält der Sachverständigenausschuss der ILO Streiks zur Einhaltung von Tarifverträgen oder Auszahlung von seit Monaten fälligen Entgeltansprüchen für zulässig. Der herrschenden Meinung in Deutschland kann laut Sachverständigenausschuss der ILO dann nicht gefolgt werden, wenn der Arbeitgeber sich bewusst tarifwidrig verhält und tarifliche Ansprüche nicht erfüllt. (Berg/Kocher/Schumann Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht, Frankfurt am Main, 2021,7.Auflage, Teil4 Rn.176).

Wir sehen an der Freien Universität Berlin die bewusste Vorenthaltung tariflicher Ansprüche aufgrund der Vielzahl, des Umfangs und der Dauer als gegeben! Die FU bestreitet Verstöße nicht einmal und entschuldigt diese mit Personalmangel in der Personalstelle. Belege hierfür sind genug vorhanden!

Darüber hinaus entfaltet die konsequente Nichtanwendung des Tarifvertrags ein öffentliches Interesse über die Freie Universität hinaus, weil sowohl Arbeitsgerichte als auch der FU-Haushalt unnötig durch Gerichtskosten belastet werden, wenn Beschäftigte ihre tariflichen Ansprüche einklagen müssen. Steuergelder, die für Bildung, Forschung und Lehre angedacht sind, werden so zweckentfremdet und in unsinnige Verfahren investiert.

Für weitere Informationen wendet euch an vorstand@verdi-fu.de

Unterschrieben von 70 (Stand 11.08.2023) erstunterzeichnenden ver.di-Vertrauensleuten und Beschäftigten