Sehr geehrter Herr Professor Ziegler, sehr geehrte Damen und Herren,
wir sind Tierpfleger:innen, technische Fachangestellte, Tierärzt:innen, E3-Beschäftigte und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen etc. im Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität.
Wir wollen in diesem offenen Brief unsere Empörung darüber zum Ausdruck bringen, in welchem Umfang in den vergangenen Jahren Verstöße gegen den rechtskräftigen Tarifvertrag (TV-L) stattgefunden haben und dabei völlig ungeahndet geblieben sind.
1. Nicht vergütete Überstundenzuschläge
Für Überstunden sieht der Tarifvertrag folgendes vor: Eine Überstunde muss mit 30 Prozent Zuschlag für die Entgeltgruppe 1-9 und für die Entgeltgruppen 10 – 13 mit 15 Prozent entlohnt werden. Der stete Personalabbau durch unbesetzte Haushaltsstellen wurde im Fachbereich Veterinärmedizin über Jahre durch die Anordnung von einer Vielzahl von Überstunden bei jedem einzelnen Beschäftigten kompensiert, in vielen Fällen war ein Freizeitausgleich nicht möglich. Jede nicht besetzte Schicht hätte zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung des Tierwohls geführt. Das wäre ethisch nicht vertretbar gewesen. Somit wurden uns Beschäftigten eine Vielzahl an Überstunden angeordnet, diese wurden aber nicht tarifkonform mit dem Überstundenzuschlag vergütet.
Eine Tierpflegerin (oder technische Fachangestellte) mit der Entgeltgruppe 6 (Stufe 4) hat einen Stundenlohn von 19,07 Euro und hat in einem Monat 20 Stunden Überstunden geleistet. Sie hätte umgerechnet laut TV-L §8 bei einem Überstundenzuschlag von 30 Prozent ca. 114,42 Euro als Überstundenzuschlag von der FU erhalten müssen. In einem Jahr hätte sie ca. 1373,04 Euro als Überstundenzuschlag erhalten müssen, den sie nicht erhalten hat. Ihr wurden in 10 Jahren 13730,40 Euro vorenthalten. Sind nur zwei Abteilungen mit jeweils 5 Tierpfleger:innen (TFAs) betroffen, wurden in 10 Jahren insgesamt 137304 Euro an Überstundenzuschlägen nicht zur Auszahlung gebracht. Es sind aber weitaus mehr als 2 Abteilungen und 10 Tierpfleger:innen (TFAs) betroffen.
Aufgrund der nicht tarifkonformen Entlohnung, konnte der Personalabbau überhaupt erst vollzogen werden. Der Personalabbau hätte sich bei gleichzeitiger Vergütung des Überstundenzuschlags von 30 Prozent wirtschaftlich nicht gerechnet.
2. Nicht vergütete Schichtzulagen
Um eine gute Versorgung der Tiere sicherzustellen, operieren und pflegen wir Tiere auch in Schicht- und Wechselschichtarbeit. Die tariflichen Regelungen zur Schichtarbeit sieht je nach Schichtart eine Zulage, eine Vergütung der Pausen und einen erhöhten Urlaubsanspruch sowie die Reduzierung der Wochenarbeitszeit vor. Bei diesen tariflichen Regelungen handelt es sich um keine Geschenke, sondern um eine Entschädigung für besonders belastende Arbeitszeiten. Die tariflichen Regelungen zur Schichtarbeit wurden aber insbesondere bei den Beschäftigten, die in Schichtarbeit arbeiten, nicht eingehalten:
Eine Tierärztin mit der Entgeltgruppe 13 (Stufe 4) arbeitet in Wechselschicht. Obwohl sie Wechselschichtarbeit leistet, erhält sie die Wechselschichtzulage von 105 Euro pro Monat seit dem 01.01.2020 nicht! Ihr ist in einem Jahr ein Rückstand von 1260 Euro entstanden. Sie macht im Monat an 20 Arbeitstagen insgesamt 15 Stunden Pause. Ihr Stundenlohn nach Entgeltgruppe 13 beträgt 31,16 Euro. Der Tarifvertrag sieht wegen der erheblichen Belastung durch die Wechselschicht eine Vergütung der Pausen vor. Weil der Tierärztin trotz Wechselschicht die Pause nicht vergütet wurde, entsteht ihr im Monat ein Rückstand von ca. 467,40 Euro, in einem Jahr 5608,08 Euro. Allein durch die Wechselschichtzulage und die nicht vergüteten Pausen ist ihr in einem Jahr ein Rückstand von ca. 6868,80 Euro entstanden. Der zusätzliche Urlaubsanspruch von 6 Tagen pro Jahr bei Wechselschichtarbeit und nicht vergütete Überstundenzuschläge kommen noch dazu. Tierärzt:innen, die Schichtarbeit leisten, hat die FU eine ganze Menge. Nur 10 Tierärzt:innen im Bereich Veterinärmedizin ist in einem Jahr ein Rückstand von 68688 Euro entstanden.
Das sind Summen, die uns fassungslos machen, zumal wir jetzt schon wissen, dass sehr viel mehr Beschäftigte und Berufsgruppen betroffen sind. Dazu gehören auch Kolleg:innen, die sich inzwischen in Rente befinden. In einem Bereich wurden nicht mal die Zeitzuschläge wie Sonntagszuschläge gemäß §8 TV-L vergütet.
Zwar haben Sie per Präsidiumsbeschluss zugesichert, dass Nachforderungen über die Ausschlussfrist von 6 Monaten hinaus nachvergütet werden. Unsere Nachberechnungen zeigten jetzt: Der wirtschaftliche Schaden für uns Beschäftigte ist erheblich und wird sich – besonders bei langjährig beschäftigten Kolleg:innen – in einer deutlich verminderten Rente niederschlagen.
3. Tarifvertrag einhalten! Beschäftigte halten!
Der Personalmangel im Fachbereich Veterinärmedizin ist derzeit in aller Munde. Nicht zuletzt durch die Einstellung des 24-Stunden-Notbetriebes der Kleintierklinik und den daraus resultierenden Konsequenzen.
Wir sehen die über Jahre vorenthaltenen tariflichen Bezüge als maßgeblich dafür, dass die Freie Universität Kolleg:innen nicht binden kann und sich viele Kolleg:innen wegbeworben haben. Zugleich sehen wir in der lückenlosen Umsetzung des Tarifvertrags die letzte Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen bei den Tierkliniken der FU nachhaltig zu verbessern.
Dabei kann die Verantwortung zur Einhaltung des Tarifvertrags nicht auf uns Beschäftigte abgewälzt werden. Es handelt sich bei den tariflichen Zuschlägen um komplexe ineinandergreifende Regelungen, deren Aufbereitung unmöglich von uns allein geleistet werden kann. Hier müssen mit dem Personalrat Lösungen gefunden werden, die eine tarifkonforme Entlohnung sicherstellen! Wir unterstützen den Personalrat deshalb in seinem Engagement, verbindliche sowie rechtssichere organisatorische Voraussetzungen für eine tarifkonforme Vergütung zu schaffen.
Wir fordern Sie auf, alle zurückgehaltenen tariflichen Bezüge zu korrigieren und zur Auszahlung zu bringen! Wir sprechen uns außerdem dafür aus, eine Abteilung in der Freien Universität zu schaffen, die die Anwendung des Tarifvertrags überprüft und dort, wo es Mängel bei der Umsetzung gibt, eingreift.
Abschließend wollen wir sagen, dass wir unsere Arbeit an der Universität und die Arbeit mit den Tieren wertschätzen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die hier beschriebenen Missstände zügig behoben werden.
Mit freundlichen Grüßen
59 Unterzeichner:innen der Unterschriftenliste
(Stand 29.03.2023)
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